

Zum
Hofe
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schen heute ganz allgemein glückli-
cher, auf dem Land oder in der
Stadt?“, entschieden sich 57 Prozent
der befragten Erwachsenen für das
Dorf und nur 12 Prozent für die Stadt.
Unter den Dorfbewohnern selbst
waren 71 Prozent für das Land und
nur 2 Prozent für die Stadt. Selbst die
Großstädter gaben mit 44 Prozent
dem Dorf vor der Stadt mit 21 Prozent
eindeutig den Vorzug. Auch in Holland
ergaben Umfragen ein ähnliches Bild:
Die Mehrheit der niederländischen
Großstadtbewohner möchte, wenn
möglich, in einem Dorf wohnen. Dage-
gen sind drei Viertel der Befragten auf
dem Land sehr zufrieden und wollen
nicht weg aus ihren Dörfern.
Die Gründe für die Zufriedenheit der
Landbewohner sind nicht leicht zu er-
mitteln und zu benennen. (Obwohl
schon zahllose Philosophen und Poe-
ten seit der Antike immer wieder da-
rüber nachgedacht und geschrieben
haben.) Vielleicht ist es schlicht das
überschaubare, „einfache“, ruhige, na-
turnahe, sozial engere Leben in einer
immer komplizierteren, anonymeren
und schnelleren Welt. Das lokale Ver-
ortetsein im Kleinen, das Halt gibt.
Das Dorf bietet offenbar die Chance
einer archaischen menschlichen Le-
bensform.
Eine interessante Facette der Zufrie-
denheit ist kürzlich in einer Studie der
Universität Münster herausgearbeitet
worden: die Sicherheit im Wohnum-
feld, die von der Bevölkerung als ein
wichtiger Vorteil des Landlebens an-
gesehen wird. Laut Polizeistatistik
haben wir auf dem Land eine gerin-
gere Kriminalitätsdichte und eine hö-
here Aufklärungsquote bei Verbrechen.
Die emotionale Ortsbezogenheit und
die Zufriedenheit der Landbevölkerung
besitzen also eine überwiegend posi-
tive Qualität. Dies wird manche erstau-
nen, zumal der ländliche Raum nicht
selten mit Schlagworten wie „sterben-
der Raum“ oder „Armenhaus der Na-
tion“ tituliert wird. Es zeigt sich auch
hier die häufig zu beobachtende Dis-
krepanz zwischen der Binnensicht des
Dorfes durch die eigene Bevölkerung
und der Außensicht des Dorfes durch
dorfferne Wissenschaftler, Politiker, Pla-
ner und Redakteure. Erst in jüngerer
Zeit scheint gerade in der Politik der
Respekt gegenüber den Kräften des
Dorfes zuzunehmen, die aus der emo-
tionalen Ortsbezogenheit und Zufrie-
denheit der Bewohner erwachsen. Man
erkennt in Berlin, München oder Düs-
seldorf mehr und mehr das große „en-
dogene Potenzial“ auf dem Land, wo
immer mehr lokale Läden, Wirtshäuser
oder Freibäder von Dorfvereinen oder
Dorfgenossenschaften ehrenamtlich ge-
führt werden. Außerdem weiß man
heute, dass die zufriedenen Einwohner
ein weicher Wirtschaftsfaktor des länd-
lichen Raumes sind.
Ein schönes Beispiel für den Wert von
Ortsbezogenheit und Zufriedenheit mit
dem Landleben gab die zweifache
Goldmedaillengewinnerin Magdalena
Neuner nach ihrer Rückkehr von den
Olympischen Spielen in Vancouver/Ka-
nada im Aktuellen Sportstudio des
ZDF am 6. März 2010. Auf Fragen des
Moderators, woher sie ihre Kraft hole
und wo sie sich am wohlsten fühle,
antwortete sie sinngemäß: in ihrem
1.400 Einwohner zählenden bayeri-
schen Gebirgsdorf Wallgau, wo sie ihre
Familie und Freunde hat, wo sie „da-
hoam“ ist. Offenherzig und selbstbe-
wusst formulierte die durch ihren
Sport schon weit gereiste und weltge-
wandte junge Frau ihre abschließende
Begründung: „Ich bin nun mal ein to-
tales Landei.“
Der Artikel stammt aus dem
lesenswerten und reich bebil-
derten Buch „Das Dorf. Land-
leben in Deutschland – gestern
und heute“ von Prof. Dr. Ger-
hard Henkel (erschienen im
Konrad Theiss Verlag, 2012).
„Das lokale
Verortetsein
im Kleinen,
das Halt gibt.“