Teil 1 - Aufbruch der Branche
in Sachen Vernetzung
in Sachen Vernetzung
Dr. Hermann-Josef Nienhoff: Am 24. November 2000 wurde der erste BSE-Fall in Deutschland bekannt. Wie haben Sie den Tag erlebt?
Dr. Helmut Born: Ab diesem Abend war alles anders. Für uns war doch bis dahin BSE ein britisches Problem. Es gab ein Verfütterungsverbot für Tiermehl, welches die EU durchgesetzt hatte, nachdem in Großbritannien 1993 170.000 BSE-Fälle aufgetreten waren. Das darf man nicht vergessen. Außer einigen im Jahre 1996 von deutschen Weiden geholten Gallowayrindern hatten wir mit BSE vermeintlich nichts zu tun. Und dann kam dieser denkwürdige Freitag. Noch am Sonntag haben wir eine Telefonkonferenz mit allen, die in der Landwirtschaft, der Futtermittelindustrie, der Vieh- und Fleischwirtschaft und der Ernährungsindustrie Rang und Namen hatten, abgehalten. Alle waren total verunsichert, die eigenen Leute in der Lebensmittelkette und noch mehr die Verbraucher. Wie sollten wir reagieren? Als Erstes wurde am Montagmorgen im Bonner Andreas-Hermes-Haus eine gemeinsame telefonische Hotline mit Experten aller beteiligten Verbände freigeschaltet, und die stand drei Tage und Nächte lang nicht mehr still. Das war unser Start in die BSE-Krise.
Guido Siebenmorgen: Ich war zu diesem Zeitpunkt seit sechs Wochen neuer Einkaufsleiter für Frischfleisch in der Rewe-Zentrale. Innerhalb weniger Tage brach der gesamte Frischfleischmarkt zusammen. Da merkt man recht schnell, was bis heute viele Marktteilnehmer ignorieren: dass man als einzelnes Unternehmen nicht viel bewegen kann. Was soll man als Rewe tun? Wir kaufen nur Teilstücke von einem Schwein. Vom gleichen Tier gehen andere Teilstücke an andere Händler oder in die Fleischwarenindustrie. Es war also nicht schwierig zu erkennen, dass in diesem Markt Qualitätsstandards nur gemeinsam durch die Branche sichergestellt werden können.
Dr. Hermann-Josef Nienhoff ist seit 1. November 2002 Geschäftsführer von QS. Der Agrarökonom war zuvor acht Jahre beim Deutschen Bauernverband e. V. und elf Jahre lang beim Kontroll- und Analyseunternehmen SGS Deutschland tätig.
Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?
Guido Siebenmorgen: Ich habe unsere Lieferanten eingeladen. Die gesamte High Society
der Fleischindustrie und der Fleisch- und Wurstwarenhersteller saß also an einem Tisch, und in diesem Meeting wurde mir klar: Die Branche hat keine Antwort auf das, was jetzt zu tun ist. Eine gemeinsame Krisenkommunikation war nicht zu erwarten. Alle wussten, wie es nicht geht. Aber keiner konnte sagen, wie es geht. An diesem Tag wurde mir bewusst, dass ich mich für eine Branchenlösung, welche die gesamte Lieferkette umfasst, einsetzen werde.
Dr. Helmut Born: Das Verhältnis zwischen Lebensmitteleinzelhandel und Landwirtschaft, aber auch zwischen den einzelnen Stufen Futtermittelwirtschaft, Fleischwirtschaft, Landwirtschaft war besonders, vorsichtig ausgedrückt. Wir haben lernen müssen, dass man auch ein paar Dinge trennen kann: zum Beispiel das normale Marktgeschehen und die gemeinsame Verantwortung dafür, dass die Menschen der Lebensmittelkette wieder vertrauen. Es hat mich persönlich sehr bewegt, dass das damals möglich war.
'Wir haben lernen müssen, dass man auch ein paar
Dinge trennen kann.'
Dr. Helmut Born
Dr. Helmut Born war von 1991 bis 2013 Generalssekretär des Deutschen Bauernverbandes e.V.. Er hat die Gründung von QS maßgeblich mit vorangetrieben.
Dr. Hermann-Josef Nienhoff: Vertrauen schaffen aus dem gemeinsamen Handeln der Kette heraus, das haben Sie damals als Lösung erkannt.
Guido Siebenmorgen: Meine erste Reaktion war: Für eine Branchenlösung müssen zunächst einmal die Handelsunternehmen zusammenfinden. Auch wenn viele Marktteil-nehmer es nicht gerne hören möchten, der Handel entscheidet letztlich in diesen Märkten, was in der Kette passiert. Die Branchenlösung funktioniert langfristig aber nur, wenn die gesamte Lieferkette gleichberechtigt agiert. Daraus ist schließlich QS entstanden. Das ist bis heute ein einzigartiges System.
Dr. Helmut Born: Bei uns mussten wir weit mehr als fünf oder zehn Entscheider unter einen Hut bringen. Der Bauernverband kann ja nicht wie ein Konzern handeln. Es gibt zum Beispiel sehr unterschiedliche Interessen zwischen Nord, Ost und Süd, auch in der Veredelungswirtschaft.
Aus heutiger Sicht hat das QS-System eine gewisse Selbstverständlichkeit. Wie schafft man es, die Wahrnehmung für die Besonderheit wachzuhalten?
Dr. Helmut Born: In Wikipedia kann man sämtliche Kritik an QS nachlesen. Dazu gehört: Die machen doch nur das, was selbstverständlich ist. Aber dass diese Selbstverständlichkeit
keine war und auch in Zukunft wohl nicht sein wird, wird übersehen. Verbraucher gehen einfach davon aus, dass unsere Produkte sicher sind. Nach innen müssen wir vermitteln, dass die gesamte Lebensmittelkette genau dafür steht, worauf die Verbraucher vertrauen. Das rechtfertigt auch den Aufwand, den wir gemeinsam dafür betreiben. Auch in Richtung der Medien, die ja Krisen geradezu lieben.
Guido Siebenmorgen: Es gibt drei Ansätze: Der Bauernverband ist politisch gut vernetzt und müsste dem Handel gegenüber mit einer Stimme sprechen. Auch in der Politik muss man es vorantreiben, dass sich das Thema weiterentwickelt. Wir müssen das Thema QM Milch voranbringen. QS gibt es jetzt seit 20 Jahren, wir sollten eine neue Stufe zünden. Das wäre ein deutliches Signal, wenn der Bauernverband das vorantreiben würde. Alle Logik spricht ja dafür, das System weiterzuverbreiten, gerade im Bereich Frische.
'QS ist das größte, beste und nachhaltigste
Qualitätssicherungssystem, das am Markt
etabliert ist.'
Guido Siebenmorgen
Guido Siebenmorgen war von 2000 bis 2014 Leiter Strategischer Einkauf Frische und Produktion der Rewe Group und ist heute als Berater tätig. Er ist Mitglied des Sanktionsbeirats von QS.
Etliche Skandale sind ja überhaupt erst durch QS ans Licht gekommen.
Dr. Helmut Born: Ja, zum Beispiel bei Dioxin und bei Nitrofen ist QS ein Mahner gewesen an die öffentliche Seite.
Dr. Hermann-Josef Nienhoff: Die Beispiele Dioxin und Nitrofen: Das war vorher nicht im Fokus. Die Grenzwerte gab es nicht. Da haben wir sofort in unserem Gremien Entscheidun-gen getroffen, wie wir solche Dinge in Zukunft vermeiden und verhindern. Dafür brauchen Behörden und Politik Jahre.
Warum wird das so schlecht angenommen?
Dr. Hermann-Josef Nienhoff: Wir bieten offen an, wo es effizienter für alle Beteiligten gehen könnte – zur Vermeidung von Doppelaufwand, aber gleichzeitig für mehr Sicherheit. Die Behörden aber meinen, nur sie seien unabhängig. Das gibt es in Deutschland ein extrem staatsgläubiges Denken. In anderen Ländern Europas werden Kontrollen von wirtschaftsgetragenen Qualitätssystemen anerkannt. Sie können in der Risikobeurteilung aktiv einbezogen werden. In Deutschland bekommen wir das leider nicht auf den Weg.
Guido Siebenmorgen: Mir ist das zu bescheiden. Vielleicht kann man nach 20 Jahren auch mal richtig darstellen: Das ist das größte, beste und nachhaltigste Qualitätssicherungssystem, das am Markt etabliert ist.