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Interview mit Dr. Andreas Palzer: Neue Wege in der Ferkelkastration

26.06.2019 | Schlachtung/Zerlegung | Schwein | Befunddaten | Schwein

Dr. Andreas Palzer ist Fachtierarzt für Schweine. Als Präsidiumsmitglied des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte gehört er der Expertengruppe „Tierwohl beim Schwein“ an, einem Beratungsgremium der EU-Kommission. Die Tierarztpraxis Scheidegg, zu deren Teilhabern Palzer zählt, ist auf Schweine spezialisiert. Die Allgäuer Gemeinschaftspraxis beschäftigt – mit ihrem angeschlossenen Kleintierbereich – ein Dutzend Tierärzte. Neben seinem Praxisalltag lehrt Palzer als Privatdozent an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Dr. Andreas Palzer ist Fachtierarzt für Schweine. Als Präsidiumsmitglied des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte gehört er der Expertengruppe „Tierwohl beim Schwein“ an, einem Beratungsgremium der EU-Kommission. Die Tierarztpraxis Scheidegg, zu deren Teilhabern Palzer zählt, ist auf Schweine spezialisiert. Die Allgäuer Gemeinschaftspraxis beschäftigt – mit ihrem angeschlossenen Kleintierbereich – ein Dutzend Tierärzte. Neben seinem Praxisalltag lehrt Palzer als Privatdozent an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Ab Januar 2021 ist die betäubungslose Ferkelkastration in Deutschland verboten. Wie heißen dann die Alternativen? Ebermast, Immunokastration, Isofluran-Narkose oder Lokalanästhesie? Dr. Andreas Palzer konnte mit diesen Wegen bereits Erfahrungen sammeln. Zum Hofe hat den Schweinepraktiker dazu befragt. Ein Praxisgespräch in Richtung Zukunft.


Frage: Lassen Sie uns bitte alle vier Wege besprechen und bei der Ebermast beginnen: Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Dr. Andreas Palzer: Ich habe in meinem Kundenkreis Betriebe, die an einem speziellen Ebermast-Programm teilnehmen, und diese produzieren seit Jahren ohne Probleme. Natürlich gibt es da einige Punkte in der Haltung und im Management, die wir erst lernen mussten. Das Sortieren muss man sich beispielsweise gut überlegen oder auch den richtigen Schlachttermin. Aber letztlich ist alles machbar. Inwieweit dieser Produktionsweg für größere Gruppen taugt, müssen auch wir noch sehen. In Sachen Ebermast muss sich dringend die Vermarktungsfrage klären, damit wir auch in der Breite Erfahrungen sammeln können.

 

Frage: Aggressivität, Unruhe, Verletzungsgefahr – das sind die typischen Vorbehalte gegen die Ebermast. Wie gehen Sie in der Produktion damit um?

Palzer: Während der Umstellung und auch danach werden in den Betrieben Probleme auftauchen, da darf man sich gar nichts vormachen. Das gilt genauso für die Immunokastration mit dem Impfstoff Improvac. Bis zur zweiten Impfung bleiben die Eber ja noch richtige Eber mit den entsprechenden Verhaltensweisen. Wer sich darauf in der Haltung einstellt, kann aber meiner Meinung nach gut damit zurechtkommen.


Frage: Bleiben wir bei der Immunokastration. Das bundeseigene Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit plädiert dafür, diesem Verfahren den Vorzug zu geben. Das Argument, der Verbraucher könne das Produkt ablehnen – Stichwort: Hormonfleisch –, betrachten die Forscher als wissenschaftlich nicht haltbar. Die Lebensmittelsicherheit sei eindeutig belegbar, zumal auch keinerlei Wartezeit anfiele. Teilen Sie diese Ansicht?

Palzer: Ich gebe den Forschern recht: Bei der Immunokastration handelt es sich um ein wissenschaftlich fundiertes und praktisch machbares Verfahren. Eine Frage ist bislang aber ungeklärt: Wie reagiert der Verbraucher auf die Impfung? Und trauen sich die Vermarkter den Verkauf zu? Ich glaube schon, dass man den Endkunden über eine gute Aufklärungskampagne mögliche Ängste nehmen kann. Das Thema besitzt aber auch das Potenzial für negative Schlagzeilen.


Frage: Die Schweizer haben die betäubungslose Kastration schon länger verboten, die Immunokastration ist dort seit 2007 zugelassen. Ihr Praxissitz liegt nahe der Schweiz, Sie haben viele Kontakte über die Grenze hinaus …

Palzer: … und da erfahre ich, dass die großen Supermarktketten den Fleischverkauf von immunokastrierten Tieren ablehnen. Meiner Meinung nach fürchten die Konzerne eine mediale Negativ-Kampagne. Deshalb befürworten sie die IsofluranNarkose. Die Tiere werden – so wie es alle aus der Vergangenheit schon kennen – mit dem Messer kastriert.


Männliche Jungtiere, die in die Ebermast gehen, kommen um einen chirurgischen Eingriff herum. Gleiches gilt für die Immunokastration: Die Schweine erhalten während der Mast zwei Impfungen. Erst mit der zweiten Gabe werden sie zum Kastraten, bis dahin behalten sie das typische Verhalten eines Ebers. Der Impfstoff Improvac, für den vorerst noch Patentschutz besteht, blockiert die Hodenfunktion und damit die Produktion des unerwünschten Geruchsstoffs Androstenon. Trotz Verhaltens- und Hodenkontrolle lässt sich wie in der Ebermast nicht ganz ausschließen, dass Stinker auftreten.

Männliche Jungtiere, die in die Ebermast gehen, kommen um einen chirurgischen Eingriff herum. Gleiches gilt für die Immunokastration: Die Schweine erhalten während der Mast zwei Impfungen. Erst mit der zweiten Gabe werden sie zum Kastraten, bis dahin behalten sie das typische Verhalten eines Ebers. Der Impfstoff Improvac, für den vorerst noch Patentschutz besteht, blockiert die Hodenfunktion und damit die Produktion des unerwünschten Geruchsstoffs Androstenon. Trotz Verhaltens- und Hodenkontrolle lässt sich wie in der Ebermast nicht ganz ausschließen, dass Stinker auftreten.

Frage: Haben Sie schon eigene Erfahrungen mit der Isofluran-Narkose?

Palzer: Ja, einige meiner Sauenhalter nehmen schon länger an speziellen Vermarktungsprogrammen teil. Die Inhalationsnarkose ist an sich das Verfahren, zu dem viele Erfahrungen vorliegen. Es gibt noch Verbesserungspotenzial an den Narkosegeräten, zum Beispiel schließen die Atemmasken bei kleineren Ferkeln nicht gut ab. Aber das lässt sich in meinen Augen alles lösen. Was ich mich vielmehr frage, ist, ob das Verfahren an sich langfristig trägt.


Frage: Das Verfahren wird begleitet von der Frage, ob das Narkosegas den Schmerz wirklich ausschaltet oder nur die Wahrnehmung, also das Reaktionsvermögen, den Schmerz zu äußern. Was meint der Praktiker dazu?

Palzer: Die Frage ist für mich eine rein akademische. Worauf es doch ankommt, ist, dass das Tier während der Kastration keine Schmerzen hat. Und das ist gegeben.


Frage: Aus Zulassungsgründen übernahmen bislang Veterinäre die Narkotisierung in den Isofluran-Pilotbetrieben. In Kürze sollen dies – nach einer vorhergehenden Schulung – die Ferkelerzeuger übernehmen. Sie können dann, wie in der Vergangenheit, in Eigenregie kastrieren. Was sagen Sie zu der geplanten Vorgehensweise?

Palzer: Als Praktiker, der jeden Tag mit Ferkelerzeugern arbeitet, kann ich mir das vielleicht noch vorstellen. Die Idee jedoch, Betäubungsmittel an Laien abzugeben, ist etwas, das die Tierärzteschaft an sich ablehnen muss. Für uns ist das ein Dammbruch, ein Präzedenzfall. Aber interessiert das die Politik? Die neue Rechtsverordnung ist ja schon fertig.


Frage: Es stellt sich ja auch die Frage nach den Kosten …

Palzer: Natürlich sehe ich die äußeren, wirtschaftlichen Zwänge. Wo soll die Tierärzteschaft beispielsweise das ganze Personal hernehmen, um all die Kastrationen zu machen? Auf dem Land haben wir eh Nachwuchssorgen. Wer studiert denn jahrelang, um dann den ganzen Tag zu kastrieren? Und selbst wenn wir die zusätzlichen Tierärzte hypothetisch hätten, wer will deren Arbeit bezahlen? Das sind unübersehbare Fakten, natürlich.

 


Die Betäubung mit dem Inhalations-narkotikum Isofluran stellt eine Alternative zur Injektionsnarkose dar. In den automatisierten Narkosegeräten liegen gleichzeitig mehrere Ferkel, die dort kastriert werden. Derzeit sind mehrere kommerzielle Produkte auf dem Markt (hier im Bild: PIGNAP, oben, und Porc-Anest, unten). Vor dem Eingriff erhalten die Tiere ein Schmerzmittel.

Die Betäubung mit dem Inhalations-narkotikum Isofluran stellt eine Alternative zur Injektionsnarkose dar. In den automatisierten Narkosegeräten liegen gleichzeitig mehrere Ferkel, die dort kastriert werden. Derzeit sind mehrere kommerzielle Produkte auf dem Markt (hier im Bild: PIGNAP, oben, und Porc-Anest, unten). Vor dem Eingriff erhalten die Tiere ein Schmerzmittel.

Frage: Ihre Praxis hat bereits zwei zusätzliche Tierärzte angestellt. Warum?

Palzer:Wir möchten einfach vorbereitet sein. Es gibt ja auch noch die Injektionsnarkose durch den Tierarzt als weiteren anerkannten Weg.


Frage: Die Lokalanästhesie wird gemeinhin als vierter Weg bezeichnet, sie steht derzeit aber mehr auf dem Abstellgleis. Warum?

Palzer:Rein medizinisch betrachtet, glaube ich, dass die Methode in der Praxis funktionieren könnte. Die Lokalanästhesie hat aber ein grundsätzliches Problem: Bislang fehlt uns in Hinblick auf das Thema Schmerzausschaltung die wissenschaftliche und damit gesetzliche Basis. Eine weitere Hürde bringt das Arzneimittelrecht. Wir brauchen neue, wirksamere Lokalanästhetika, sie befinden sich im Zulassungsprozess. So etwas dauert und schon deshalb ist die lokale Betäubung eine vage Bank. Wir können es uns nicht leisten, einfach bis 2020 zu warten, ob bis dahin ein neuer Wirkstoff kommt oder nicht. Wir brauchen ein rechtskonformes, wissenschaftlich fundiertes, anerkanntes Verfahren, mit dem wir jetzt in den Betrieben arbeiten können.


Frage: Was ist also hier und heute zu tun?

Palzer: Wir müssen uns darum kümmern, die faktisch möglichen Wege ans Laufen zu bekommen. Das sind die Ebermast, die Immunokastration, die Injektions- und die Isofluran-Narkose. Wir haben fast keine Zeit mehr.


Frage: Wie schätzen Sie als Schweinepraktiker die Erfolgschancen dieser Wege ein?

Palzer: Alle Wege sind praktikabel, wie gut, kommt auf den einzelnen Betrieb und auf die Umsetzung vor Ort an. Die eine Pauschallösung gibt es nicht. Ich bin mir aber sicher, dass sich alle auftretenden Probleme mit den Tierhaltern zusammen lösen lassen. Die Gretchenfrage stellt sich für mich viel eher bei den Kosten: Reden wir über Isofluran, dann fällt der zusätzliche Aufwand beim Ferkelerzeuger an. Bei der Immunokastration muss ihn der Mäster tragen. Bei der Ebermast zahlt ihn der Schlachthof. Keiner will aber die zusätzlichen Kosten haben, denn das Geld von der nachgelagerten Kette wiederzubekommen, wird schwierig.


Frage: Was fehlt also?

Palzer: Die nachgelagerte Wirtschaft, die Schlachtbranche und der Lebensmittelhandel, müssen Farbe bekennen und zusichern, die entsprechend produzierten Tiere zu verlässlichen Preisen abzunehmen. Die Frage ist doch, welches Verfahren ist letztlich vermarktbar? Ich möchte wissen, was die großen Schlachtbetriebe akzeptieren werden, was nicht – und warum. Da fehlen mir Erklärungen und den Landwirten auch. Es sind doch die Ferkelerzeuger und Mäster, die gerade total in der Luft hängen. Aus meiner Sicht blockieren die Schweinehalter gar nichts, auch wenn der Vorwurf immer mal wieder laut wird. Sie sind in diesem Spiel nur das schwächste Glied. Und die Gefahr, dass das ganze Thema die vorgelagerten Bereiche ausbaden werden, besteht mehr denn je.


Quelle:
Zum Hofe (1/2019) - Hier ansehen und herunterladen

 


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